„Die Wolke“ von Gudrun Pausewang

Schon lange wollte ich mal „Die Wolke“ von Gudrun Pausewang lesen. Ich wusste nur grob, um was es in dem Buch ging und dass es früher viele Jahre lang Schullektüre war. Das reichte allerdings aus, um mich neugierig zu machen. Irgendwann letztes oder vorletztes Jahr habe ich das Buch im öffentlichen Bücherregal entdeckt und habe es gleich mitgenommen. Danach hat es allerdings eine Weile gedauert – ich habe Pausewangs Buch auf meine Leseliste für dieses Jahr gesetzt und habe es dann auf einer Zugfahrt im März endlich gelesen.


Über die Autorin
Gudrun Pausewang wurde am 3. März 1928 als Gudrun Wilcke in Ostböhmen geboren. Sie war das älteste von fünf Kindern. Nachdem ihr Vater 1943 im Krieg fiel, floh die Familie nach Westdeutschland. Dort wuchs Gudrun auf, machte 1948 ihr Abitur und studierte später Pädagogik in Weilburg an der Lahn. Sie arbeitete nach ihrem Studium als Lehrerin und unterrichtete an deutschen Schulen in Chile und Venezuela. Ihren Aufenthalt dort nutzte sie auch, um Südamerika zu bereisen und war unter anderem in Bolivien, im Amazonasgebiet, Feuerland und Peru.
Nach einem Germanistik-Studium in Deutschland und einem daran anschließenden Aufenthalt in Kolumbien, kehrte Pausewang in den 1970ern endgültig zurück nach Deutschland. Sie zog mit Mann und Sohn nach Schlitz bei Fulda und unterrichtete dort wieder als Lehrerin.
Gudrun Pausewang schrieb zeit ihres Lebens über 90 Bücher, darunter mehr als 60 Kinder- und Jugendbücher. Ihre Schriftstellerinnenkarriere begann in den 1950er Jahren, damals schrieb sie zunächst Belletristik, später überwiegend Kinder- und Jugendliteratur, wie z. B. „Die letzten Kinder von Schewenborn“ (1983) und „Wer hat Angst vor Räuber Grapsch“ (1984).
Zu ihren bekanntesten und erfolgreichsten Werken zählt „Die Wolke“ (1987), ein Jugendroman, den Pausewang nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl im April 1986 schrieb. Das Buch wurde zu einer wichtigen Schullektüre, verkaufte sich mehr als 1,5 Millionen mal, erhielt 1988 den Deutschen Jugendliteraturpreis und wurde 2006 erstmals verfilmt. 2017 wurde Pausewang abermals mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet – diese Mal jedoch für ihr Gesamtwerk.
Gudrun Pausewang starb am 23. Januar 2020 mit 91 Jahren in der Nähe von Bamberg.


Über das Buch
Janna-Berta sitzt im Unterricht, als der Alarm losgeht. Es heißt, es gab einen Reaktorunfall im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Sie werden augenblicklich aus dem Unterricht entlassen und
ein paar Jungs aus ihrer Stufe nehmen sie im Auto mit nach Schlitz, wo sie wohnt. Daheim wartet bereits ihr kleiner Bruder Uli, auf den sie ein paar Tage aufpassen muss, während ihre Eltern mit ihrem jüngsten Bruder in Schweinfurt sind. Zuerst wollen Janna-Berta und Uli sich im Keller verschanzen, doch dann ruft ihre Mutter an und drängt ihre Tochter dazu, so schnell wie möglich Schlitz zu verlassen. Eine Wolke sei unterwegs und würde alles in der Umgebung um Grafenrheinfeld verseuchen. Sie sollen bei den Nachbarn fragen und sich von ihnen mitnehmen lassen, um in Bad Hersfeld in den Zug zu steigen. Die Nachbarn sind aber schon weg, also beschließt Janna-Berta kurzerhand die Fahrräder zu nehmen. Sie packen das Wichtigste ein und fahren los.
Unterwegs sehen die Geschwister Chaos, verstopfte Autobahnen, Panik und Hysterie. Freunde und Bekannte fahren an ihnen vorbei und haben oft nicht mehr als ein schmales Lächeln für sie übrig.
Als Janna-Berta schließlich Bad Hersfeld erreicht, nimmt sie nicht den Zug und gerät stattdessen in den Regen der gefürchteten Wolke.
Die Folgen des Reaktorunfalls sind verheerend und Janna-Berta muss erst wieder lernen, sich in ihrem Leben zurechtzufinden.


Meine Meinung
Pausewangs „Die Wolke“ ist ein unbequemes, schockierendes Buch sowie eine Art dystopisches Gedankenexperiment. Was wäre, wenn sich das, was sich in Tschernobyl ereignet hat, in Deutschland der 1980er Jahre wiederholen würde? An der Seite von Janna-Berta taucht der Leser in dieses Gedankenexperiment ein und wird Zeuge der (möglichen) Folgen eines Reaktorunfalls in der Mitte von Deutschland. Die Reaktionen auf diese Schreckensnachricht und die Folgen des Regens bzw. der Wolke sind authentischer als einem lieb ist. Inwieweit aber konkret die Folgen der Strahlung in ihrem Ausmaß realistisch sind, vermag ich nicht zu sagen. Doch darum geht es auch nicht zwingend, zumindest nicht für mich. Das Buch verdeutlicht, dass das, was woanders passieren kann, auch bei „uns“ passieren kann.
Außerdem zeigt es deutlich das Versagen der Politik auf, welche unzureichend und zu spät reagiert hat. Und seien wir mal ehrlich, wenn man an den Ausbruch von Corona 2020 zurückdenkt, ist das gar nicht so unwahrscheinlich, dass so etwas passieren könnte. Es gibt Dinge, auf die die Politik nicht (so gut) vorbereitet ist und dann kann ziemlich schnell alles drunter und drüber gehen - was ganz sicher nicht nur für Deutschland gilt!
Dass Pausewang ihrer Leserschaft viel zumutet, wurde teilweise von Eltern und Erziehern kritisiert. Es gibt in der Tat einige heftige Stellen (Unfall, die Folgen der Strahlenkrankheit bei Janna-Berta und anderen), aber auf der anderen Seite frage ich mich, wie lang man Jugendliche in Büchern schonen sollte? 
„Die Wolke“ wird vom Verlag für „junge Erwachsene“ empfohlen. Meiner Meinung nach ist diese Altersempfehlung gerechtfertigt und ich finde, besonders in Anbetracht heutiger Jugendbücher, dass das Buch nicht zu viel für dieses Alter ist. Allerdings ist natürlich nicht jeder gleich und entsprechend ist das Buch für manche auch einfach nichts. Da muss man individuell entscheiden und man sollte sich vorher grob darüber informieren, worum es geht.
Pausewang wollte mit ihrem Buch verdeutlichen, wie gefährlich Atomkraftwerke sind bzw. sein können, dass das etwas ist, was man sehr ernst nehmen sollte und das es Erwachsene sowie Jugendliche gleichermaßen angeht. Denn letztendlich würde eine Katastrophe jeden betreffen.
Wie wir alle wissen, brauchte es aber erst eine weitere Katastrophe, bis sich in Deutschland endlich etwas tat. Im März 2011 kam es zu einem Reaktorunfall in Fukushima und plötzlich war auch das Buch von Pausewang wieder brandaktuell. Der Atomausstieg in Deutschland folgte und 2015 wurde schließlich auch das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld stillgelegt, das in Pausewangs Buch Model stand.
„Die Wolke“ ist zwar kein schönes, aber ein sehr wichtiges Buch und erhält von mir 4,5 von 5 Sternen.


Gewusst?
Im Buch werden die die Strahlenopfer auch „Hibakusha“ genannt. So werden tatsächlich die Strahlenopfer von Hiroshima genannt. Das Wort setzt sie aus dem Wort „Leiden“ (hi), „Bombe“ (baku) und „Mensch“ (sha) zusammen und steht folglich für die Menschen, welche den Atombombenabwurf überlebt haben.

Die Verfilmung von Pausewangs Buch kann ich übrigens nicht wirklich empfehlen. Der Film ist zwar nicht unbedingt schlecht, hat allerdings mit dem Buch nicht mehr viel gemein. Einiges wurde geändert, so fügte man beispielsweise einen „love interest“ bzw. festen Freund für Janna Berta ein – welche im Film übrigens Hannah heißt. Diesen festen Freund hat man frei dazuerfunden, er kommt im Buch nicht hervor. Durch diesen Zusatz hat sich auch einiges an der Handlung verändert.



Eine Leseprobe findet ihr auf der Seite des Ravensburger Verlags (einfach auf ‚Blick ins Buch‘ klicken, das ihr rechts über dem Buchcover findet):


Gudrun Pausewang: Die Wolke
Ravensburger Verlag, Taschenbuch, 224 Seiten, 1987
ISBN: 978-3-473-58014-9
7,99 €


Rezension und Bilder © Melanie Beck

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