„Die Ladenhüterin“ von Sayaka Murata

Konbini ningen, コンビニ人間 

Dieses wunderschöne Buch bekam ich zu Weihnachten geschenkt und kam dann auch gleich auf meine Bücherliste für 2021. Da ich ja prinzipiell von der japanischen Kultur sehr angetan bin und dieses Buch obendrein auch noch sehr dünn war, habe ich es Anfang des Jahres in nur wenigen Tagen bereits gelesen. 


Sayaka Murata wurde 1979 in der Präfektur Chiba geboren, welche sich am Südostrand Honshūs befindet, der größten Insel und dem sogenannten „Kernland“ Japans. 
Das wohl erste von der Öffentlichkeit wirklich beachtete Werk war Junyû (2003), wofür Murata den Gunzô-Newcomer-Preis erhielt. Von da an folgten weitere renommierte Auszeichnungen wie z.B. den Noma-Preis für Newcomer, den Sense of Gender Award sowie den Mishima-Preis, für den sie mehrmals nominiert war, doch erst mit Shiroiro no machi no, sono hone no taion no (2013) [dt. Die weiße Stadt, die Temperatur ihrer Knochen und…] erhielt sie endlich die Auszeichnung. Der große internationale Durchbruch gelang ihr dann schließlich mit Konbini ningen (2016), welcher im Deutschen wörtlich übersetzt so viel wie "Gemischtwarenlanden- /Supermarkt-Mensch" bedeutet. 26 Länder erhielten die Rechte an einer Übersetzung des Buches und so erschien auch hier in Deutschland 2018 Muratas Roman unter dem Titel Die Ladenhüterin. Ein Ladenhüter war dieses Buch jedoch sicherlich nicht, denn es verkaufte sich bereits über 600.000 mal und wurde in Japan zudem mit dem Akutagawa-Preis ausgezeichnet, dem wohl renommiertesten Literaturpreis Japans. Spätestens seit diesem Erfolg gilt Murata als das neue Gesicht der japanischen Literaturszene. 
In ihren Werken hält die Autorin ihrem Heimatland Japan den Spiegel vor. So kritisiert sie unter anderem die Misogynie Japans, übt aber auch ganz allgemeine Kritik an der doch eher starren und noch sehr konservativen Gesellschaft aus. 


Zum Buch
Keiko Furukura, die Protagonistin dieses Romans, ist nicht wie andere Menschen. Schon früh zeigt sich, dass ihr etwas Entscheidendes fehlt und zwar: Empathie. Aufgrund dessen, dass sie sich nicht in ihre Mitmenschen hineinfühlen kann und selbst ziemlich emotionslos erscheint, entspricht ihre Denkweise und ihr Handeln oft nicht dem der anderen Menschen. Folglich wird sie schon früh als Sonderling abgestempelt. Doch Keiko hat einen Ort gefunden, durch den sie in Kontakt mit der Gesellschaft treten, ja sogar ein Teil der Gesellschaft werden kann, ohne anzuecken. Und dieser Ort ist der Konbini, einem typisch japanischen Supermarkt, der rund um die Uhr geöffnet hat. Dort gibt es feste Vorschriften und Regeln, wie man richtig zu lächeln hat, wie man sich mit den Kunden unterhält, sie grüßt und verabschiedet und wie man den richtigen Ton dafür trifft. All diese Vorschriften erleichtern ihr den Umgang mit anderen Menschen und lässt sie für ihre Umgebung „normal“ wirken.
Was als Aushilfsjob während ihres Studiums begann, wird schnell zur Passion, zu ihrem Lebensinhalt, dem sie zu Beginn des Romans nun schon seit 19 Jahren nachgeht. Doch allmählich fragt sich Keikos Umfeld, was sie dort noch macht. Warum sucht sie sich nicht eine bessere Anstellung? Warum lebt sie noch allein, hat keinen Freund, ist unverheiratet? Eines Tages kommt dann ein neuer Mitarbeiter, Shiraha, dazu, der wie Keiko auch nicht so recht in die Schubladen der Erwartungen der Gesellschaft passen will – und auf einmal gerät ihr bislang so gutfunktionierendes Leben aus den Fugen. Muss sie sich mehr anstrengen, um mehr den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen?


Meine Meinung
Sayaka Murata spricht in ihrem kurzen Roman Die Ladenhüterin ein großes Problem der japanischen Gesellschaft an. Oder eigentlich sind es gleich mehrere und sie betreffen nicht nur Japan, sondern nahezu alle Länder. Es geht um das Schubladendenken, Ablehnung gegenüber dem, was nicht „normal“ ist. Es geht darum, dass wir zu „funktionieren“ haben, dass wir möglichst nützlich für die Gesellschaft sein sollen. Arbeiten, Partner finden, Kinder kriegen. Dieser Aspekt ist in Japan sehr ausgeprägt und wird in Muratas Roman kritisiert und hinterfragt.
Der Schreibstil Muratas ist präzise, aber auch einfach, sodass es sich sehr gut und vor allem auch schnell liest. Wer sich Zeit nimmt, kann das Buch sicherlich an einem Tag durchlesen.
Mir hat die Ladenhüterin gut gefallen, aber noch besser gefiel es mir, nachdem ich mich darüber austauschen konnte. Man muss sich die Zeit nehmen, um ein wenig über das Buch und seine Aussage, vor allem aber auch über das Ende nachzudenken. 
Darüber hinaus kommt das Buch ein wenig skurril und absurd daher, besonders als man Shiraha kennenlernt. Sein Verhalten erscheint einem zunächst als unangenehm und sehr absurd, allerdings ist das gar nicht so sehr an den Haaren herbeigezogen. Shiraha kann hier nämlich als Vertreter der sogenannten Hikikomori angesehen werden. Hikikomori bezeichnet Menschen, die sich aus der Gesellschafft zurückziehen und somit in eine (möglichst) totale soziale Isolation begeben.
Shiraha schimpft auf die Gesellschaft, auf ihre Zwänge und Erwartungen und ihr Schubladendenken – und zieht sich zurück. Gleichzeitig verhält er sich aber wie die Gesellschaft, indem er über Keiko urteilt und sie ebenfalls in eine Schublade steckt. 
Ich hatte mir um das Ende schon Sorgen gemacht, doch tatsächlich erwartete mich da eine weitere Überraschung und, in meinem Fall, eine Erleichterung.
Von mir gibt es für dieses Buch 4 von 5 Sternen und ich freue mich darauf, noch mehr von Sayaka Murata zu lesen – ein weiteres Buch von ihr kam vergangenes Jahr im Aufbau Verlag heraus: Das Seidenraupenzimmer.



Sayaka Murata: Die Ladenhüterin
Übersetzt von Ursula Gräfe
Aufbau Verlag, Gebunden, 145 Seiten, 2018
ISBN: 978-3-351-03703-1
18,00 € 


Rezension und Bilder © Melanie Beck 

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