"Der Verdacht" von Friedrich Dürrenmatt

Nachdem wir in der vergangenen Woche anlässlich Friedrich Dürrenmatts 100. Geburts-tag bereits über seine Komödie Die Physiker geschrieben haben, habe ich mich noch einem weiteren seiner Werke gewidmet: Der Verdacht. 


Friedrich Dürrenmatt hat in seinem Leben insgesamt fünf Kriminalromane geschrieben. Seinen ersten und womöglich auch bekanntesten, Der Richter und sein Henker, schrieb er 1950. In diesem geht es um einen alten Kommissär in Bern namens Hans Bärlach, der mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Er wird immer wieder als „Urgestein des Rechtssystem“ bezeichnet und ist ein wirklich zäher Kerl. Weiterhin spielen Begriffe wie Gerechtigkeit, Moral und Schuld eine wichtige Rolle in diesem, aber auch in den anderen Kriminalromanen Dürrenmatts. 
Den zweiten, Der Verdacht, um den es heute hier auch gehen wird, schrieb er 1951. Es handelt sich dabei um die Fortsetzung von Der Richter und sein Henker, in dessen Zentrum wieder Kommissär Bärlach steht. 
Bei dem Kriminalroman Das Versprechen, der 1958 erschien, tritt ein anderer Kommissär auf den Plan: Kommissär Matthäi, der versucht, einen Kindermörder zur Strecke zu bringen. Nach diesem hatte sich Dürrenmatt erst einmal anderem zugewandt und kehrte erst 1985 wieder zum Kriminalroman zurück. In Justiz (1985) geht es um einen jungen Rechtsanwalt namens Felix Spät, der auf einen besonderen Fall zurückblickt. Der fünfte und letzte Kriminalroman von Dürrenmatt, Der Pensionierte, blieb unvollendet. Zwar begann Dürrenmatt ihn bereits 1969, doch schrieb er ihn immer wieder um. Der Protagonist des Romans, Kommissär Höchstettler, erinnert hierbei stark an Kommissär Bärlach. 


Zum Buch
Dürrenmatt schrieb Der Verdacht 1951, welcher dann 1952 in der Zeitschrift „Der Schweizerische Beobachter“ als Fortsetzung zu Der Richter und sein Henker erschien und 1953 als Buch herausgegeben wurde. 
Zu Beginn des Romans erfährt der Leser, dass es gesundheitlich sehr schlecht um Kommissär Bärlach stand und er daher dringend operiert werden musste. Nach der mehr oder weniger gelungenen Operation (denn Kommissär Bärlach bleibt trotzdem ver-mutlich nur noch ein Jahr), liegt er im Bett um sich zu schonen. Er liegt im Salem, einem Krankenhaus in Bern und bekommt regelmäßig Besuch von seinem guten Freund und Arzt, Samuel Hungertobel. 
Bei einem dieser Besuche liest Bärlach einen Stapel älterer Ausgaben der amerikanischen Zeitschrift „Life“. In einem der Hefte stößt er auf ein Bild, auf dem ein Arzt (Nehle) im KZ Stutthof einen Juden ohne Narkose operiert. Bärlach empört sich und spricht Hunger-tobel darauf an, der wiederum seltsam auf das Bild reagiert. Es kommt heraus, dass ihm der Mann auf dem Bild bekannt vorkommt. 
Dieser KZ-Arzt Dr. Nehle erinnert ihn an einen alten Studienkammeraden, namens Emmenberger. Damit ist Kommissär Bärlachs Interesse geweckt. Er geht dem ganzen nach, spricht unter anderem mit einem Bekannten, einem Juden, der damals auch im KZ Stutthof gewesen war und lässt sich schließlich in die Klinik Sonnenstein bei Zürich einweisen, die von Emmenberger heutzutage geleitet wird. 


Meine Meinung
Mit seinen 128 Seiten ist Der Verdacht ein sehr kurzer, aber dichter Kriminalroman, der bis zur letzten Seite spannend bleibt. Er besticht zudem durch die klare, atmosphärische Sprache Dürrenmatts und einem weiteren Merkmal: es ist kein sonderlich typischer Kriminalroman. Es geht nicht wirklich um die Suche nach dem Übeltäter, denn den findet Kommissär Bärlach relativ früh. Es geht sogar nicht einmal sonderlich um Gerechtigkeit, wenngleich Bärlach für diese einsteht und versucht sie zu erreichen bzw. erwirken. Nein, stattdessen geht es hier vor allem um Schuld und Sühne (und vielleicht noch um den Preis der Gerechtigkeit…). Es gibt allerdings auch paar sehr seltsame Gestalten in diesem Roman, bei denen ich mich gefragt habe, ob das nicht etwas zu weit hergeholt ist - was auch das Ende betrifft. Dennoch ist Der Verdacht ein sehr interessanter sowie empfehlenswerter Roman und ich bedaure sehr, dass es nicht mehr Kriminalromane gibt, die von Kommissär Bärlach handeln. 
Von mir gibt es 3,5 von 5 Sternen


Aktuell kann man übrigens wegen Dürrenmatts 100. Geburtstag in der 3sat Mediathek drei Verfilmungen von Dürrenmatts Werken anschauen (allerdings nur noch bis zum 16./17.01.21): Der Besuch der alten Dame (2008), die amerikanische Verfilmung von Das Versprechen (The Pledge, 2001) mit Jack Nicholson und die Schweizer Verfilmung von Justiz (1993). 


Da meine Rowohlt Ausgabe bereits vergriffen ist, hier die von Diogenes: 
Friedrich Dürrenmatt: Der Verdacht 
Diogenes Verlag, Taschenbuch, 128 Seiten, 1995 
ISBN: 978-3-257-21436-9 
9,00 €



Rezension und Bilder © Melanie Beck

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