„Reisen“ von Helon Habila

Mir wurde dieses Buch von einer Kollegin wärmstens empfohlen und da ich mich prinzipiell für andere Kulturen interessiere und noch nie etwas von einem afrikanischen Schriftsteller gelesen habe, dachte ich mir, wird es Zeit, das einmal zu ändern! 
Es gab tatsächlich einmal eine Zeit, in der ich unbedingt nach Afrika wollte und hatte mir sogar ein Buch und eine Lern-CD gekauft, um Suaheli zu lernen, woraus aber leider am Ende doch nichts geworden ist – aber ich besitze sie noch und werde sie wohl auch noch ein wenig behalten, man weiß schließlich nie, was die Zukunft bringt! 


Der Nigerianer Helon Habila wurde 1967 in Kaltungo geboren und war eines von acht Kindern einer christlich erzogenen Familie. Er studierte später Literatur, lehrte an der Universität und ging schließlich nach Lagos, um dort als Journalist zu arbeiten. In den frühen 1990er Jahren begann Habila dann zunehmend literarische Werke zu verfassen; seine erste Kurzgeschichte erschien 1992 in einer Anthologie. Es folgten weitere Kurz-geschichten, aber auch Gedichte und 2003 erschien schließlich auch sein erster Roman, Waiting for an Angel. Ins Deutsche wurden bislang nur sein dritter Roman, Oil on Water (dt. Öl auf Wasser, 2010), und sein neuester Roman, Travelers (dt. Reisen, 2020), übersetzt. Während hier in Deutschland Habilas literarisches Werk bislang noch eher unbekannt ist, erhielt er andernorts, vor allem in den USA, bereits einige Preise für sein Werk, darunter den Caine Prize for African Writing sowie den Commonwealth Writer’s Prize. Doch auch in Deutschland konnte er bereits mit seinem Roman Öl auf Wasser einen Preis ergattern: den deutschen Krimi-Preis. 
Heute lebt Habila in den USA und unterrichtet an der George Mason University in Washington DC Kreatives Schreiben. 


Helon Habilas Roman Reisen war anfangs so konzipiert gewesen, dass die Handlung des Buches sich hauptsächlich in den USA und in Afrika abspielen sollte. Nachdem Habila jedoch 2013/2014 in Berlin gewesen und 2015 der Beginn der Flüchtlingskrise in Europa war, überarbeitete er das Konzept. Anstatt der USA, spielt nun Berlin bzw. Deutschland eine größere Rolle in diesem Roman, sodass er zur Untergattung der „Berlin-Romane“ gezählt wird. 
Worum geht es nun Helon Habilas Reisen
Der Titel ist vielleicht etwas irreführend, denn es geht nicht um „Urlaubsreisen“, woran womöglich die meisten denken (und wonach sich viele dieses Jahr sehnen). Stattdessen geht es viel mehr um Migration und Geflüchtete in diesem Roman. Das Buch ist in sechs „Bücher“ unterteilt und nimmt den Leser mit auf eine Reise zu den unterschiedlichsten Schicksalen. Zu Beginn lernt man den namenlosen Protagonisten kennen, der selbst aus Nigeria kommt, aber zusammen mit seiner amerikanischen Frau Gina in den USA lebt. Wegen eines Stipendiums halten sich beide jedoch gerade in Berlin auf, wo Gina einem Kunstprojekt nachgeht, während ihr Mann an seiner Dissertation im Bereich der Literaturwissenschaft (Berlin Konferenz 1884) arbeitet. So richtig kommt er damit aber nicht voran. Er lernt in Berlin einige Leute kennen, darunter auch Migranten und Geflüchtete, deren Geschichten ihn berühren und mitnehmen und vor allem schließlich zu einer (nicht ganz freiwilligen) spannenden sowie aufreibenden Reise führen. 
In den anderen „Büchern“ bzw. Kapiteln lernt der Leser Portia kennen, die in die Schweiz reist, um zu erfahren, warum ihr Bruder von seiner Ehefrau getötet wurde. Dann ist da Manu, der in seiner Heimat Arzt gewesen war, in Berlin aber nun als Türsteher arbeitet. Jeden Sonntag geht er mit seiner Tochter zum Checkpoint Charlie, in der Hoffnung, dort seine Frau mit seinem kleinen Sohn zu finden. Wir lernen auch Juma kennen, der abgeschoben werden soll und in Hungerstreik getreten ist, und da sind noch viele mehr. Diese einzelnen Personen und deren Schicksale sind mit dem unseres namenlosen Protagonisten aus Nigeria verwoben, womit sich der Kreis letztendlich schließt. 

Meine Meinung
Helon Habila gelingt es mit einer klaren Sprache (in einer guten, runden deutschen Übersetzung) von dieser Reise zu erzählen, in der es um Geflüchtete und den Gründen ihrer Flucht geht, die so vielfältig sind, wie die Biografien der einzelnen Menschen in diesem Roman. Das ist mal traurig, mal aufreibend, aber immer berührend. Besonders erfrischend fand ich, das Thema mal aus einem anderen Blickwinkel anzugehen. Hier erzählt nicht ein privilegierter weißer Europäer, der womöglich gar nicht so einen Zugang zu diesem Thema hätte, wie es uns hier präsentiert wird. 
Von mir gibt es daher 4 von 5 Sternen und ich kann dieses Buch nur wärmstens weiterempfehlen, wenngleich natürlich betont werden muss, dass es sich bei diesem Buch nicht um einen gute Laune-Roman handelt – oder um einen Liebesroman. Der Inhalt ist ernste, teilweise schwere Kost, aber so gut erzählt, dass es sich wunderbar lesen lässt – das Buch, ist die Reise wert! 



Helon Habila: Reisen 
Übersetzt von Susann Urban 
AfrikAWunderhorn/Wunderhorn Verlag, Gebunden, 317 Seiten, 2020 
ISBN: 978-3-884-236369 
25,00 €


Rezension und Bilder © Melanie Beck

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