„Die Blumen von Hiroshima“ von Edita Morris

広島 の 花

Anfang des Jahres habe ich dieses Buch im öffentlichen Bücherregal entdeckt und habe es hauptsächlich aufgrund seines ästhetischen Äußeren in die Hand genommen. Ich hatte weder von der Autorin Edita Morris, noch von dem Titel des Buches jemals etwas gehört, aber da ich mich sehr für Japan interessiere, dachte ich, nehme ich es einmal mit. 
Ursprünglich war geplant gewesen, es im November in Hiroshima zu lesen, um dann dort auch entsprechende Bilder machen zu können. Doch wegen Corona musste ich meinen Japanurlaub absagen und von dieser Idee leider Abstand nehmen. 
Da der Tag, an dem die Atombombe über Hiroshima explodierte, sich vor einem Monat wieder gejährt hatte, dachte ich, lese ich es stattdessen noch im August. Und was soll ich sagen? Das Buch hat mich wirklich gepackt und beschäftigt mich jetzt noch, einige Wochen später. 


Edita Morris, geborene Toll, wurde 1902 als Jüngste von vier Töchtern in Schweden geboren. 1925 heiratete sie den Amerikaner Ira Victor Morris, der als Journalist und Schriftsteller arbeitete. Gemeinsam reisten sie viel und besaßen unter anderem auch mehrere Wohnsitze. Während des Zweiten Weltkrieges lebten sie in den USA und setzten sich später, während des Kalten Krieges, gegen Atomwaffen und die damalige US-amerikanische Außenpolitik ein. 
Die Blumen von Hiroshima ist nicht der einzige Roman von Morris, doch jener, der sie berühmt machte. Ihr Sohn studierte Japanologie und wurde später Soldat. Als dieser gehörte er zu den ersten amerikanischen Soldaten, die das zerstörte Hiroshima betraten. Durch seine Berichte womöglich beeinflusst, besuchte Edita Morris selbst die Stadt 1955 auf, woraufhin sie das Buch (auf Englisch, nicht auf Schwedisch) schrieb. 
Die Blumen von Hiroshima erschien 1958, wurde in über 30 Sprachen übersetzt und erhielt 1961 den französischen Albert-Schweitzer-Preis. Hollywood kaufte sogar die Film-rechte, doch es wurde leider nie ein Film realisiert. 


Am 06. August 1945 explodierte die Atombombe „Little Boy“ um 08:15 über Hiroshima. Sie zerstörte nicht nur die Stadt, sondern löschte auch augenblicklich das Leben von 70.000 Menschen aus.
Die Blumen von Hiroshima setzt 14 Jahre nach dieser Gräueltat ein und handelt von Yuka-san, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird. Ihre Familie besteht aus ihrem Mann Fumio, ihren beiden Kindern und ihrer jüngeren Schwester Ohatsu, mit denen sie in eher ärmlichen Verhältnissen lebt. Um finanziell etwas dazuzuverdienen, nimmt Yuka den Amerikaner Sam-san auf, der aus geschäftlichen Gründen in der Stadt ist. Dabei ist es Yuka sehr wichtig, ihre Armut vor dem Amerikaner zu verstecken. Nicht nur das, sie versucht auch, die traurigen, beklemmenden Schicksale der Einwohner und die Auswirkungen und Folgen der Atombombe vor ihm zu verbergen – bis es ihr irgendwann nicht mehr möglich ist. 

Der Leser erfährt in Die Blumen von Hiroshima nicht nur etwas über die japanische Kultur und deren Gepflogenheiten, sondern auch etwas über die Folgen der Atombombe, auf die ich weiter unten noch eingehen möchte. 
Als ich das erste Kapitel gelesen habe, war ich mir erst nicht sicher, ob dieses Buch etwas für mich ist. Yuka-san spricht nämlich gelegentlich auch mit einem Haustier, einem Vogel namens „Frau Dompfaff“, was zuerst etwas eigenartig daherkommt. Aber da die Kritiken zu diesem Buch im Internet so gut waren, muss doch irgendetwas dran sein – so mein Gedanke – also habe ich weitergelesen und was soll ich sagen? Ich stimme den positiven Kritiken voll und ganz zu! Besonders hat das Buch mich nachhaltig noch so beschäftigt, dass ich mir inzwischen verschiedene Dokumentationen über die Atombombe, ihre Entstehungsgeschichte und über Hiroshima angesehen habe. Natürlich habe ich mich auch für diesen Beitrag mit der Autorin Edita Morris auseinandergesetzt und war von ihrem Einsatz beeindruckt (siehe das Ende des Beitrages). 
Zudem ist das Buch auch noch sehr hübsch gestaltet; nicht nur von außen, sondern auch von innen. Jedes Kapitel beginnt mit einer an japanische Kunst angelehnten schwarzen Tuschezeichnung, die stets ein anderes Motiv zeigt wie z. B. einen Kranich, einen Koi, einen Bambuszweig oder eine Kabuki-Maske. 
Was mich manchmal etwas irritiert hat, war die Schreibweise von wenigen Wörtern. Ich bin mir nicht sicher, ob es an der alten Rechtschreibung liegt, aber manche japanischen Wörter werden etwas ungewohnt geschrieben (statt „Fuji“ heißt es „Fudschi“). Aber das betrifft wirklich nur sehr wenige Wörter. Was ich wiederum sehr schätze, selbst wenn ich es nicht gebraucht habe, ist ein kleines Glossar am Ende des Buches, das einige japanische Begriffe erklärt. 

Dieses Buch gibt einen Einblick in die damalige Zeit, wie es in Hiroshima gewesen sein muss und wie die Einwohner dieser Stadt mit dem, was passiert war, umgingen. Das Buch stimmt einen nachdenklich, dennoch oder gerade deswegen war es für mich eine Bereicherung und ich gebe diesem Buch 4,5 von 5 Sternen. 

Ich bin unglaublich froh, dieses Buch entdeckt zu haben, ganz besonders, weil Die Blumen von Hiroshima scheinbar seit den 1970er/80er nicht mehr neuaufgelegt wird und heute nur noch gebraucht erworben werden kann (was ich nicht nachvollziehen kann – irgendein Verlag sollte dieses Buch dringend wieder neuauflegen!) 

Am Ende des Buches war ich dankbar; dankbar dafür, wie gut ich es habe und wie dankbar ich sein kann, in dieser Zeit zu leben. Aber ich war auch traurig und wütend – nicht auf das Buch, sondern auf die Menschheit und regierende Politiker. Um das zu erklären, möchte ich etwas ausholen und noch ein paar Worte zu Hiroshima und zur Atombombe sagen. Denn seien wir mal ehrlich, jeder denkt zu wissen, was am 06. August 1945 passiert ist, aber in Wahrheit kennen wir alle nur einen ganz, ganz kleinen Teil, ein Bruchstück von dem, was diese Gräueltat verursacht hat.


Als „Little Boy“ am 06. August 1945 über Hiroshima detonierte, bildete sich eine Feuer-kugel, die so heiß war, dass sie unzählige Menschen auf einen Schlag verdampfen ließ. Dabei hinterließ die Hitze die Schatten jener Menschen, die ausgelöscht wurden, was in manchen Dokumentationen zu sehen ist.
 
Die Atombombe sollte eine bessere Lösung sein, ein Mittel, um den Krieg vorzeitig beenden zu können, damit nicht noch mehr Menschen sterben müssen. Aber zu welchem Preis? Aufgrund der Atombombe starben 70.000 Menschen am 06. August, doch viele mehr starben noch danach an den Folgen von „Little Boy“. Selbst 70 Jahre nach der Explosion gibt es noch immer Überlebende, die mit den langfristigen Folgen der radioaktiven Strahlung zu kämpfen haben. So führte die Strahlung zu Krebs- und Herz-Kreislauferkrankungen, aber vor allem zur Entwicklung verschiedener Krebsformen. Hinzukamen Erbkrankheiten, Mutationen, Unfruchtbarkeit, Verbrennungen, Narben und natürlich die psychischen Wunden. 
Und es traf ja nicht nur Hiroshima, sondern auch Nagasaki. 
Weil die Regierung Japans nach der Zerstörung Hiroshimas nicht bereit war zu kapitulieren, warfen die Amerikaner eine zweite Atombombe über Japan ab  – dieses Mal über der Stadt Nagasaki.
Etwas später wurde sogar noch eine Atombombe der Amerikaner Unterwasser gezündet, trotz der Warnung über Strahlung und ihre Auswirkungen. Viele in der Navy waren der Ansicht, weil man diese Strahlung nicht sehen oder riechen kann, dass es sie schlichtweg nicht gibt. Also wurde die Bombe gezündet. Danach waren das Wasser und die übrigen Schiffe, die in der Nähe der Explosion gewesen waren, hochradioaktiv. Es wurde versucht, die Strahlung der Schiffe mit Meerwasser „abzuwaschen“  – das allerdings ja auch radioaktiv war… Diese Unterwasserbombe gilt als das erste nukleare Desaster (Hiroshima und Nagasaki werden nicht dazugezählt). 

Nach diesen verheerenden Folgen könnte man meinen, dass die Menschheit aus ihren Fehlern lernt und alle nuklearen Waffen zerstört, damit diese nie wieder verwendet werden. Doch die Realität sieht leider anders aus. Stattdessen haben wir heute einige Männer an der Macht, die meinen, sie brauchen diese Waffen unbedingt zum Schutz – nur kann man mit einer Atombombe niemanden schützen; es ist kein Schild, sondern eine Waffe. 

Im Friedenspark in Hiroshima brennt die ewige Flamme. Diese soll erst dann erlöschen, wenn die letzte Atombombe zerstört wurde. Ich bezweifle leider, dass ich diesen Tag erleben werde, denn meine Hoffnung in die Menschheit ist nicht gerade groß, aber ich würde es mir sehr für die nachfolgenden Generationen wünschen. Doch um zu gewährleisten, dass dieser dunkle Fleck in der Geschichte der Menschheit nicht vergessen und sich auch nicht wiederholen wird, müssen Bücher wie Die Blumen von Hiroshima gelesen und verbreitet werden. 


Gemeinsam mit ihrem Ehemann gründete Morris in Hiroshima das „Haus der Ruhe“ für Atomkranke. Sie überlebte ihren Mann und ihren Sohn um einige Jahre und starb schließlich 1988. 
In ihrem Nachlass veranlasste sie die Gründung einer Stiftung, der sie ihr Eigentum vermachte. So entstand 1989 die Edita and Ira Morris Hiroshima Foundation for Peace and Culture, die sich um Frieden in Konfliktsituationen bemüht. Alle zwei Jahre vergibt sie den sogenannten Hiroshima-Preis an Personen, die zum Verständnis sowie zum Dialog und Frieden in Konfliktregionen beitragen. Diese Stiftung trägt auch den Namen „The Flowers of Hiroshima“, angelehnt an Morris Roman, der sie berühmt machte. 
Edita und Ira Morris waren übrigens beide Ehrenbürger von Hiroshima. 



Informationen zur Stiftung und Preisträgern findet ihr auf der englischen Webseite: 

Wer sich mehr über die Atombombe und Hiroshima informieren möchte, dem empfehle ich einen Beitrag des SWR2 zum Hören: 


Sowie Dokumentationen, die ihr in der ARTE Mediathek findet oder ggf. auch auf Youtube. Eine weitere kurze Dokumentation über den 06. August 1945 findet ihr in der Reihe „Zahlen schreiben Geschichte“ ab dem 06. September (also morgen!) in der ARTE Mediathek – und im Fernsehen auf ARTE am 13. September um 13:20 Uhr. 
Hier der Link:

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Edita Morris: Die Blumen von Hiroshima 
Übersetzt von Sophie Angermann 
Bertelsmann Lesering, Gebunden, 205 Seiten, (o. J. – vermutlich späte 1960/1970er) 
Ausstattung und Vignetten nach japanischen Motiven von Gerhard Ulrich 



Rezension und Bilder © Melanie Beck

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